Nach ihrer Fertigstellung 1997: die zweite Ägyptenwelt und ihre Rolltreppen. (Foto: © William Mitchell)

Nach ihrer Fertigstellung 1997: die zweite Ägyptenwelt und ihre Rolltreppen. (Foto: © William Mitchell)

Kiss me, Pharao: Harrods ägyptische Rolltreppen

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Die alten Ägypter bewegen die Menschen bis heute. Ägyptomanie nennt sich das Phänomen, dass in den 1990er-Jahren auch das Londoner Luxuswarenhaus Harrods ergriff.

Der Künstler, der damals Räume und Rolltreppen dekorierte, war der Brite William Mitchell, der in den 1960er- und 1970er Jahren durch seine großformatigen abstrakten Skulpturen und Reliefs bekannt wurde und seit seiner Studienzeit die altägyptische Kunst bewunderte.

Sein Mäzen war Mohammed Al-Fayed, ein Ägypter, der 1985 Harrods kaufte. Al-Fayed fand Gefallen an Mitchell, der lange für den Geschäftsmann als Gestalter arbeiten sollte: zunächst im Pariser Hotel Ritz, das Al-Fayed 1979 erworben hatte, und bei Harrods.

Britische Institution

Das 1834 gegründete, seit 1849 im noblen Knightsbridge ansässige Warenhaus, gilt als britische Institution. Al-Fayed funktionierte sie kurzerhand zur privaten Gedenkstätte um, als er seinem Sohn Dodi und seiner Geliebten Prinzessin Diana ein Denkmal setzen ließ. Beide waren 1997 bei einem Autounfall ums Leben gekommen.

Mitchell schuf dafür einen Kenotaph mit Porträts der Liebenden und dem Weinglas, das Dianas rote Lippen beim letzten Dinner im Pariser Ritz sichtbar berührt hatten – teurer Kitsch, dem der Besucher ganz am Ende seiner Fahrt durchs ägyptische Treppenhaus mit seinen aufwendig dekorierten Rolltreppen begegnet.

Die erste Ägyptenwelt entsteht

HandwerkMit dem auslandenden Schmuck wollte Al-Fayed der Kultur seiner Heimat ein Denkmal setzen, das Warenhaus um neue Attraktionen bereichern und den Personenfluss umsatzsteigernd optimieren. So entstand der Plan für die erste Ägyptenwelt am Eingang Brompton Road: die ägyptische Halle, die 1991–92 Gestalt annahm und von Mitchell als enorme Herausforderung begriffen wurde.

Er, Liebhaber der naturalistischen, farbenprächtigen Kunst der 18. Dynastie und ihres Pharaos Echnaton sollte bei Harrods mit derselben Kraft und Kunstfertigkeit arbeiten wie die von ihm verehrten Künstler mehr als 3.000 Jahre zuvor.

Durch Verbindung von Räumen im EG und im 1. UG schuf Mitchell die "Egyptian Hall" mit knapp acht Meter hohen Säulen, attraktiv von Rolltreppen erschlossen. Besucher sollten überwältigt werden: von den Faksimile-Reliefs, die ägyptisches Leben zeigen, den Sphingen, den fächerförmigen Leuchten auf ihren schlanken Bronzesäulen, den eleganten Vitrinen und dem Licht ...

Noch größer, noch spektakulärer

Einige Jahre später folgte Mitchells zweites Ägypten-Projekt, 21 Millionen Pfund schwer und realisiert vom Baukonzern Norwest Holst. 1996-97 wurde das siebenstöckige Atrium an der Hans Crescent Street vom Künstler als begehbare Skulptur umgestaltet: Seither tragen Säulen und Wände die Reliefs ägyptischer Krieger und ihrer Streitwagen.

Auch fördertechnisch wurde aufgerüstet: Die 1927–28 installierte Sechser-Aufzuggruppe flog raus wurde durch Rolltreppen ersetzt, die täglich Tausende Besucher zwischen dem 1. UG (Schuhe, Socken, Dodi & Di) und dem 5. OG ("Harrods Shoe Haven") und damit – so Mitchells Konzept – zwischen Unter- zum Oberlauf des Nils hin und her befördern. Auf den Rolltreppenunterseiten zeigen Reliefs die Göttin Isis als Herrscherin über die Welt.

Zwischen Kultur und Konsum

Stolz berichtet Mitchell davon, dass English Heritage seine Konzeptwelten in die Listen bewahrenswerter Kulturgüter aufgenommen hat. Ob es tatsächlich Werke für die Ewigkeit sein werden, wie er hofft, bleibt abzuwarten. Schließlich ist Harrods weniger eine Kultur- als eine Konsuminstitution. Und der müssen auch Denkmäler weichen.

HandwerkGemeinsam mit dem britischen Künstler Douglas Jennings schuf Mitchell 2005 eine drei Meter hohe bronzene Dodi-&-Di-Skulptur. Ihre Inschrift "Innocent Victims" war eine Anklage gegen das britische Königshaus, das nach Al-Fayeds Ansicht die Verantwortung für den Tod des Liebespaares trage – weshalb der jetzige Eigentümer die Skulptur zur Familie Al-Fayed nach Ägypten abschieben lassen will, in der Hoffnung, den verlorenen Status als Hoflieferant wiederzuerlangen.

Auf die Reise wird auch der Dodi-&-Di-Kenotaph gehen. Die Episode Al-Fayed wird damit endgültig Geschichte sein. Was bleibt: die ägyptischen Welten und ihre Rolltreppen, die Besucher auch künftig in Konsumlaune versetzen.

Von Oliver Züchner, Hannover

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