Andreas Schierenbeck, Vorstandsvorsitzender von thyssenkrupp Elevator. (Quelle: thyssenkrupp Elevator)

Mit dem Aufzug ins 21. Jahrhundert

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Weltweit ziehen immer mehr Menschen in Städte. Ballungszentren wachsen, Megacities entstehen, neue Herausforderungen wollen gemeistert werden. Andreas Schierenbeck, Vorstandsvorsitzender von thyssenkrupp Elevator, im Gespräch über Wandel und Chancen für die Aufzugsindustrie.

Welche Herausforderungen bringt die weltweit zunehmende Urbanisierung?
Schierenbeck: Die Städte wachsen in die Höhe, Hochhäuser mit über 800 Metern Höhe sind heute bereits Realität. Das hat durchaus Vorteile, nachweislich sinken Energieverbrauch und Infrastrukturkosten, die Produktion in solchen verdichteten Regionen wird effizienter. Der vertikale Transport der Menschen mit Aufzügen muss aber neu gestaltet werden.

Inwiefern?
Schierenbeck: Das Grundproblem ist ein Kapazitätsproblem. Zu Stoßzeiten müssen sehr viele Menschen in kurzer Zeit etwa zu ihrem Arbeitsplatz in die oberen Stockwerken eines hohen Wolkenkratzers gebracht werden oder in einen U-Bahn-Schacht. Mehr Aufzüge zu bauen, um das zu bewältigen, braucht sehr viel Fläche, die dann für andere Räume nicht mehr zur Verfügung steht. Schneller zu fahren ist für die Passagiere zum einem nicht angenehm, zu anderen wird ein potenziell machbares hohes Tempo wegen des ständigen Beschleunigens und Abbremsens eines Aufzugs nur selten erreicht. Wir bei thyssenkrupp Elevator haben daher ein ganz anderes Konzept entworfen. Unser Aufzugssystem Multi fährt seillos mit magnetischer Kraft und mit mehreren Kabinen in einem Schacht wie ein Paternoster im Kreis. Und die Kabinen sind klein, so dass die Leute schnell ein- und aussteigen können. Das bringt spürbare höhere Beförderungskapazitäten.

Ist Multi auch für U-Bahn-Stationen geeignet?
Schierenbeck: Ja, in London denkt man bereits darüber nach. Da ist aber auch ein schneller horizontaler Transport wichtig, um etwa zur nächst gelegenen U-Bahn-Station zu kommen. Unser Transportsystem Accel löst solche Metroprobleme. Es ist ein Förderband, das von normaler Schrittgeschwindigkeit beim Einsteigen auf zwei Meter pro Sekunde beschleunigt, bevor es zum Absteigen wieder auf die Anfangsgeschwindigkeit von 0,6 Meter pro Sekunde abbremst.

Wie störanfällig sind denn solche bahnbrechenden Innovationen?
Schierenbeck: Aufzüge sind das sicherste Verkehrsmittel der Welt, eine Milliarde Menschen pro Tag benutzen sie weltweit. Aber die Verfügbarkeit ist leider nicht optimal, vier bis sechs Mal fällt jeder Aufzug pro Jahr aus. Das sind insgesamt 190 Millionen Stunden Stillstand, hat die New Yorker Columbia University herausgefunden. Eine solche Ausfallquote würde beim Auto niemand akzeptieren.

Warum kommt es zu Ausfällen?
Schierenbeck: Aufzüge werden nicht optimal überwacht. Mängel, die zum Stillstand führen, werden nicht rechtzeitig entdeckt. Um das zu ändern, haben wir zusammen mit Microsoft "Max" entwickelt. Damit kontrollieren wir die Technik eines Aufzugs online in einer Cloud und werten riesige Datenmengen aus. Feste Wartungsintervalle werden dann ersetzt durch Reparaturen, deren Notwendigkeit das System meldet – bevor es zum Stillstand kommt. In den USA haben wir vor einem Jahr begonnen, Aufzüge mit Max auszustatten, in Deutschland im Juni dieses Jahres. Im Moment gibt es pro Tag zwischen 500 und 600 Neuinstallationen. Erste Effekte – weniger Ausfälle, geringere Wartungskosten – sind bereits sichtbar.

Wie kommen denn die Aufzugswärter mit all diesen technischen Neuerungen zurecht?
Schierenbeck: Das ist in der Tat nicht so trivial. Die Techniker, die sich vor Ort um die Aufzüge kümmern, betreuen in der Regel viele alte und auch neue Modelle. Zwangsläufig sind sie nicht Experten in allen technischen Einzelheiten. Für die Reparaturen haben wir daher die Datenbrille Hololens entwickelt. Hat ein Techniker diese Brille auf dem Kopf, entsteht vor seinen Augen eine virtuelle Realität der Bauteile, um die es geht. Ein Experte in unserem Hause kann mit dem Techniker verbunden werden, an einem Computer dieselbe Realität sehen und Rat geben. Mit solchen Brillen kann sich ein Techniker auch vorbereiten oder schulen lassen.

Und wie reagiert der Markt auf Ihre Innovationen?
Schierenbeck: Wir führen bereits Gespräche mit potentiellen Kunden zum Multi, ein Vorgängermodell des Accel ist am Flughafen von Toronto installiert und befördert dort die Kapazität eines ganzen Busses, Max stößt weltweit auf reges Interesse und Hololens befindet sich mit gut 100 Brillen im Feldtest. Wir müssen jetzt Überzeugungsarbeit leisten, dass unsere Innovationen große Chancen bieten, damit alle Abläufe rund um Aufzüge sich einfacher gestalten lassen.

Die Fragen stellte Bettina Heimsoeth

www.thyssenkrupp-elevator.com

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