Von Thomas Leitner
Unbewusste Wahrnehmungsverzerrungen im Management ("Führungs-Bias") und institutionalisierte Verdrängungsmechanismen ("Managed Ignorance") führen dazu, dass wichtige Wahrheiten ignoriert, Konflikte vermieden und Chancen vertan werden.
Dieser Artikel soll für kulturelle Blindstellen und strukturelle Selbsttäuschung sensibilisieren. Er zeigt auf, wie der Mittelstand durch Haltung und Reflexion seine Stärke entfalten kann. Denn gerade in der Aufzugsbranche, die zwischen lokalem Handwerk und globaler Konzernpräsenz balanciert, wird die Fähigkeit zur Selbstprüfung zum entscheidenden Faktor.
Kulturelle und strukturelle Stärken weiterentwickeln
Jüngste Übernahmen traditionsreicher Mittelständler durch internationale Anbieter verdeutlichen, wie wichtig es ist, kulturelle und strukturelle Stärken nicht nur zu pflegen, sondern auch weiterzuentwickeln. Denn wer heute die Balance aus Nähe, Flexibilität und professionellem Management nicht schafft, läuft Gefahr, seine Eigenständigkeit zu verlieren – nicht durch äußeren Druck, sondern weil das eigene Zögern der Marktkonsolidierung in die Karten spielt.
Daher stellen Sie sich, liebe Kolleginnen und Kollegen im Mittelstand, bitte folgende drei Fragen:
• Welche Wahrheiten in Ihrem Unternehmen werden nur hinter vorgehaltener Hand ausgesprochen?
• Wo wird Zustimmung belohnt – und Widerspruch geduldet?
• Wann wurde Führung zuletzt ernsthaft hinterfragt – und was ist daraus entstanden?
Wenn gute Entscheidungen ausbleiben In vielen Unternehmen ist spürbar, wo es hakt – doch kaum jemand spricht es offen an. Zwischen Image und Realität liegt oft ein Graben. Wer zu offen ist, stört die Harmonie. So entsteht eine kulturelle Blindheit gegenüber der Realität, die durch gewohnte Muster, Unsicherheit und subtile Schutzmechanismen verursacht wird.
In der Führung wirken dabei typische Verzerrungen:
• Nur das wird gehört, was bestehende Überzeugungen bestätigt (Confirmation Bias).
• Veränderungen wirken bedrohlich (Status-quo-Verzerrung).
• Kritik dringt nicht mehr nach oben (Hierarchie-Effekt).
Die Folge: Organisationen kreisen um sich selbst, obwohl sie überzeugt sind, sich weiterzuentwickeln.
Aus meiner früheren Praxis als Unternehmensberater weiß ich, dass Umsatzrückgänge gerne als Ausreißer abgetan werden – so lange, bis ein Schlüsselkunde abspringt. Oder wie Berichte so lange angepasst werden, bis sie den Planvorgaben entsprechen – mit dem Effekt, dass Warnsignale zu spät erkannt werden.
Warum Veränderungen oft blockiert werden
Der Österreicher Thomas Leitner ist seit Ende 2023 dritter Geschäftsführer von Riedl Aufzüge. Foto: © Riedl AufzügeVeränderung ist nur selten eine Frage der Logik. Sie berührt Identität, Selbstbild und Verantwortung. Jede Kurskorrektur kann als Kritik an früheren Entscheidungen empfunden werden.
Gerade in inhabergeführten Unternehmen, wo persönliche Geschichte und unternehmerische Entwicklung eng verbunden sind, wird daraus leicht ein emotionales Thema. Nicht der Inhalt einer Idee erzeugt den Widerstand – sondern das Gefühl, sich selbst damit infrage zu stellen.
Das Ergebnis: Gute Ideen werden verzögert, abgeschwächt oder leise entsorgt. Nicht, weil sie unbrauchbar sind – sondern weil sie emotional nicht anschlussfähig erscheinen.
Wenn Strukturen Wirklichkeit ausblenden
Der Begriff beschreibt eine weitverbreitete Praxis: Die Realität wird selektiv wahrgenommen, um die Stabilität der Organisation zu wahren. Kritik wird sprachlich entschärft, negative Signale ignoriert und Zahlen so lange optimiert, bis sie ins Bild passen. Die Probleme sind bekannt – aber nicht mehr sichtbar.
Typische Anzeichen:
• Nur positive Monatsberichte
• Keine offiziellen Feedbackschleifen
• Sprachliche Vermeidung: "nicht ideal", "ausbaufähig", "eigentlich kein Thema"
• Dabei ist die Wahrheit längst vorhanden – sie wird nur nicht mehr gesehen.
• Kultur entscheidet, was gesagt werden darf
Kultur zeigt sich nicht auf PowerPoint-Folien, sondern im Alltag: in dem, was unausgesprochen bleibt, in der Art, wie mit Fehlern umgegangen wird, und in der Frage, ob man offen widersprechen darf.
Viele Organisationen verfügen über alle Werkzeuge – Leitbilder, Workshops, Feedbackprozesse. Aber ohne die passende Haltung bleibt das alles leere Hülle. Es braucht Mut zur Wahrheit und Vertrauen, dass Offenheit nicht schwächt, sondern stärkt.
Der Mittelstand kann es besser
Der Mittelstand hat strategische Vorteile: Er kann Kultur verändern, Entscheidungen schnell treffen und sich ehrlich hinterfragen. Nicht, weil alles perfekt ist – sondern weil Nähe, Verantwortung und Gestaltungswille hier oft greifbarer sind als anderswo.
Verantwortung heißt nicht, alles richtig zu machen – sondern lernfähig zu bleiben.
Wenn handwerkliche Tiefe auf strukturelles Denken trifft, entsteht unternehmerische Stärke. Nicht durch Kopie von Konzernmethoden, sondern durch Weiterentwicklung eigener Prinzipien: Klarheit, Reflexion und Veränderungsbereitschaft.
Die Zukunft gehört denen, die Verantwortung gestalten – und genau das kann der Mittelstand mit seinen Stärken besser als jede andere Unternehmensform.
Der Autor ist einer von drei Geschäftsführern bei Riedl Aufzüge.
Weitere Informationen: riedl-aufzuege.de
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