Intelligente Lastmessung für Aufzüge
Dank intelligenter Sensorik und integrierter Recheneinheiten mit recht hoher Leistungsfähigkeit entwickelt sich die Überlastmessung zu einem wichtigen Instrument für die Effizienzbewertung und zustandsbasierte Wartung.
Von Tim Ebeling
Die Überlastmessung ist eine wichtige Sicherheitsfunktion jeder Aufzugsanlage. Die Ausprägungen reichen von einem einfachen und günstigen Mikroschalter, der aber relativ unpräzise arbeitet und häufig nachgestellt werden muss, bis hin zu sehr verlässlichen Systemen, die nur einmal oder sogar kein einziges Mal vor Ort justiert werden müssen und zuverlässig eine Überladung der Kabine detektieren. Doch moderne Systeme können heute weit mehr als nur die klassische Überlastkontrolle. Sie entwickelt sich zu einem wichtigen Instrument für die Effizienzbewertung und zustandsbasierte Wartung.
Intuitive Captive-Schnittstelle zwischen Auswerteeinheit und Smartphone zur einfachen Bedienung und Dokumentation. Foto: © Henning GmbH & Co. KGGrundlage dieser Entwicklung ist der Einsatz leistungsfähiger System-on-a-Chip-Lösungen (SoC). Diese hochintegrierten Module vereinen Rechenleistung, Peripherieanbindung und Sicherheitsfeatures auf kleinstem Raum. Über standardisierte Schnittstellen (z. B. UART, CAN 2.0, GPIOs) sowie drahtlose Übertragungswege (WLAN, Bluetooth 4.2) lassen sich die Sensoren flexibel in moderne Aufzugssteuerungen oder cloudbasierte Wartungslösungen einbinden.
Gerade bei der Vielzahl der Schnittstellen kommt einem unweigerlich das Stichwort "Cybersecurity" in den Sinn – und die Systeme leisten in diesem Bereich tatsächlich Erstaunliches: Selbst einfache SoCs verfügen bereits über Sicherheitsfunktionen wie Secure Boot und Hardware-Verschlüsselung, sodass auch ein "cyber"-sicherer Betrieb gewährleistet ist.
Hürden für Cyberkriminelle
Ein weiterer Schutz ist die Aktivierung bestimmter Schnittstellen – gerade der funkbasierten – durch eine physische Aktion. Wird beispielsweise erst auf Knopfdruck und dann auch nur für begrenzte Zeit der drahtlose Netzzugang bereitgestellt, stellt dies eine weitere Hürde für Cyberkriminelle dar.
Im Fall der Überlastmessung kann das Bedienmenü komfortabel auf das Smartphone ausgelagert werden. So kann der Digitale Produktpass umgesetzt, Reports zur Dokumentation erzeugt und zahlreiche Sonderfunktionen angeboten werden, ohne dass spezielle Apps oder Betriebssystem-Voraussetzungen erforderlich sind.
Lastverteilung und Lebensdauer der Seile
Seilspannungsverlauf über eine Abwärts- und Aufwärtsfahrt. Das Seil mit dem dunkelblauen Kurvenverlauf läuft in einer verschlissenen Treibscheibenrille. Foto: © Henning GmbH & Co. KGDie verfügbare Rechenleistung kann auch genutzt werden, um den Verschleißvorrat von Seilen und Treibscheibe effektiv zu nutzen. Die Lastverteilung im Seilset ist nämlich sehr entscheidend für die Lebensdauer der Seile. Im maßgeblichen Standardwerk zu Drahtseilen im Aufzugsbau von Prof. Dr. Klaus Feyrer wird eine Gleichung angegeben, mit der sich die Biegeleistung von Drahtseilen in Abhängigkeit zur Seilspannung ermitteln lässt.
Wenn alle Parameter in dieser Gleichung (wie etwa Umgebungsbedingungen, mechanische Seilparameter etc.) gleich gehalten werden und lediglich der Unterschied in der Seilspannung betrachtet wird, so ergeben sich erstaunliche Auswirkungen der Lastverteilung auf die Lebensdauer der Seile.
So führt eine Verringerung des Lastunterschieds zwischen den Tragseilen um 15 Prozent demnach zu einer um 38 Prozent erhöhten Lebensdauer der Seile. Zudem verhindern korrekt eingestellte Seile ein "Einlaufen" (Verschleiß) einzelner Treibscheibenrillen. Die Auswerteeinheit stellt dafür einen Einstellassistenten auf dem Smartphone bereit. Damit wird die Seileinstellung selbst bei Mehrfachaufhängungen sehr einfach und effizient, da jedes Seil nur einmal "angefasst" und nach den Vorgaben des Assistenten gespannt wird.
Kraftverhältnisse im Fahrkorb
Neben der reinen Erkennung von Überlastsituationen ermöglichen solche Systeme eine beständige und differenzierte Betrachtung der Kräfteverhältnisse im Fahrkorb. Besonders interessant ist die Analyse der Schachteffizienz. Durch vergleichende Lastmessungen bei Auf- und Abwärtsfahrt mit identischer Zuladung lässt sich das Maß der mechanischen Verluste und damit die Schachteffizienz im Aufzugssystem exakt bestimmen. Der Messwert "Schachteffizienz" erlaubt Rückschlüsse auf die Montage- und Wartungsqualität – und das ganz ohne invasive Eingriffe.
Betrachtet man nicht nur die Gesamtkräfteverhältnisse, sondern auch die Kräfte in jedem einzelnen Tragmittel während der Auf- und Abwärtsfahrten, können weitere sehr interessante Ergebnisse gewonnen werden. Mithilfe der bereits vorhandenen Algorithmen kann das System zukünftig ungleichmäßig verschlissene Treibscheibenrillen und verdrehte Seile automatisch erkennen und gegebenenfalls an übergeordnete Systeme melden.
Mehrwert durch erweiterte Diagnostik
Auch für maschinenraumlose Anlagen (MRL) oder bei Retrofit-Projekten bietet diese erweiterte Diagnostik einen erheblichen Mehrwert, da sie dabei hilft, unausgeglichene Seilspannungen, verdreht aufgelegte Seile oder fehlerhafte Einbauten zu erkennen – lange bevor es zu Störungen kommt.
Die systematische Auswertung von Zeitreihen kann zudem als Frühindikator für Verschleiß dienen. Durch die sichere Anbindung an übergeordnete Systeme können die gewonnenen Messdaten Teil eines integrativen Anlagenmonitorings werden und Predictive-Maintenance-Konzepte unterstützen.
Fazit
Intelligente Lastmessung ist mehr als nur ein sicherheitsrelevantes Bauteil zur Überlastdetektion – sie liefert essenzielle Eingangsgrößen für moderne Steuerungs- und Wartungssysteme und ermöglicht eine objektive Beurteilung der Anlagenqualität, sowohl im Neubau als auch im Bestand. Herstellern, Betreibern und Servicedienstleistern eröffnet sich damit ein neues Potenzial, das gewinnbringend genutzt werden kann.
Der Autor ist einer der beiden Geschäftsführer der Firma Henning, einem Hersteller von Aufzugskomponenten und Messtechnik.
Weitere Informationen: https://henning-gmbh.de/
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