Die neue Norm EN 81-76:2025 beinhaltet die Anforderungen an Aufzüge, die zur Evakuierung von Personen mit Behinderungen geeignet sind. Sie ist seit dem 23. Juli 2025 bei CEN verfügbar.

Die neue Norm EN 81-76:2025 beinhaltet die Anforderungen an Aufzüge, die zur Evakuierung von Personen mit Behinderungen geeignet sind. Sie ist seit dem 23. Juli 2025 bei CEN verfügbar. (Foto: © Dall.e)

Neue Norm zur Evakuierung von Menschen mit Behinderungen

Aktuelles

Die neue Norm EN 81-76:2025 ist bei CEN verfügbar. Die Veröffentlichungen durch die nationalen Organisationen für Normung sind schon erfolgt oder erfolgen in Kürze. Die Zitierung im Amtsblatt der EU wird im ersten Quartal 2026 erwartet.

Von Eberhard Vogler

Wie der Name schon sagt, beinhaltet die Norm Anforderungen an Aufzüge, die zur Evakuierung von Personen mit Behinderungen geeignet sind. Damit deckt sie einen Bereich ab, für den es bisher keine europäische Norm gab. Die EN 81-70 beschreibt zwar Anforderungen an Aufzüge zur Barrierefreiheit, berücksichtigt die zusätzlich erforderlichen Eigenschaften für die Evakuierung von Personen mit Behinderungen jedoch nicht.

In manchen europäischen Ländern gibt es bereits Normen bzw. Dokumente zum Thema Evakuierung oder zum Weiterbetrieb von Aufzügen im Brandfall. Diese sind jedoch nicht durchgängig vorhanden.

Betriebsweise und Anforderungen

Foto: © Clemenspool – eigenes WerkFoto: © Clemenspool – eigenes Werk

Grundsätzlich ähnelt der Betrieb eines Evakuierungsaufzugs dem eines Feuerwehraufzugs. Nach Empfang des Evakuierungsrückrufsignals startet Phase 1: Der Fahrkorb fährt zur Evakuierungsausstiegshaltestelle (EAH) und schließt die Türen, nachdem sich ggf. im Fahrkorb befindliche Personen entlassen wurden.

Der Evakuierungsbetrieb in Phase 2 startet nach der manuellen oder automatischen Aktivierung einer Betriebsart. Es gibt drei mögliche Betriebsarten mit unterschiedlichen Prioritäten: den automatischen Evakuierungsbetrieb, den fernunterstützten Evakuierungsbetrieb und den fahrerunterstützten Evakuierungsbetrieb. Der Aufzug muss mit mindestens einer dieser Betriebsarten ausgestattet sein (siehe Kasten "Übersicht über die Betriebsarten").

Klassen von Evakuierungsaufzügen

Das Konzept der EN 81-76 sieht zwei Klassen von Evakuierungsaufzügen vor: 

  • Klasse A: Diese Betriebsart ist für kleinere Gebäude wie Wohnhäuser gedacht und hat einen eingeschränkten Umfang. So ist z. B. eine automatische Notbefreiungssteuerung, welche den Fahrkorb in die nächste Haltestelle fährt, ausreichend (es wird keine Notstromversorgung im Gebäude verlangt). Weitere Einschränkungen sind nur eine mögliche Evakuierungsausstiegshaltestelle und eine Nennlast des Aufzugs von mindestens 630 kg.
  • Klasse B: Evakuierungsaufzüge der Klasse B sind für größere Gebäude oder Gebäude mit einer größeren Anzahl an zu evakuierenden Personen konzipiert. Für diese Klasse werden z. B. eine Mindestnennlast von 1.000 kg und eine Ersatzstromversorgung gefordert. Spätestens, wenn für Gebäude Feuerwehraufzüge vorgeschrieben sind, sollten die Evakuierungsaufzüge der Klasse B entsprechen.

Zentrale Anforderungen

Das sind zentrale Anforderungen an einen Evakuierungsaufzug: 

  • Um eingeschlossenen Personen Hilfe zukommen lassen zu können (nicht zur Notbefreiung), wird grundsätzlich eine Dachluke nach EN 81-20 im Fahrkorb gefordert, wobei für Klasse B größere Abmessungen angegeben sind. 
  • Ein Evakuierungsaufzug muss mit einem Signaleingang oder einem Evakuierungsaufzugsschalter zur Aktivierung der Phase 1 ausgestattet sein. 
  • Der Fahrkorb und die EAHs müssen mit diversen Ansagen und Anzeigen ausgestattet sein. 
  • Abhängig von der/den gewählten Betriebsarten müssen:
    • ein Zweiwege-Kommunikationssystem (umfangreicher bei Remote und reduziert bei fahrerunterstütztem Betrieb) und
    • ein Bedienpanel und ein Videosystem (bei Remotebetrieb) vorhanden sein. 
  • Der Aufzug muss außerdem die Möglichkeit haben, über ein Dienstunterbrechungssignal den Evakuierungsbetrieb einzustellen. Dieses externe Signal kann dann erfolgen, wenn die Aufzugsumgebung nicht mehr sicher ist (z. B. wenn sich Rauch in einem sicheren Vorraum, dem Aufzugsschacht oder dem vorgesehenen Fluchtweg befindet).

Gebäudeseitige Randbedingungen

Wichtige gebäudeseitige Randbedingungen sind:

  • Der Aufzugsschacht ist ein separater Brandabschnitt und die Aufzugseinrichtungen sowie der Schacht sind vor Brand und Wasser geschützt. 
  • Der Aufzug kann eine oder bei Klasse B mehrere alternative EAHs haben. Sollte die aktive EAH bzw. der zugehörige Fluchtweg nicht mehr sicher sein, kann auf eine andere EAH gewechselt werden. 
  • Vor jeder Schachttür befindet sich ein sicherer Vorraum, in dem sich wartende Personen bis zur Evakuierung aufhalten können. Die EN 81-76 erlaubt auch die Kombination der sicheren Vorräume mit einem Treppenhaus. Damit ist die deutsche Lösung eines Aufzugs ohne ‚Fahrschacht‘ im Treppenauge möglich. 
  • Mindestens für Evakuierungsaufzüge der Klasse B muss das Gebäude mit einer Notstromversorgung ausgestattet sein. 

(Eine allgemeine Übersicht der Normanforderungen kann dem Diagramm Abläufe und Funktionen zur EN 81-76 entnommen werden.)

Teil 2 des Artikels

In einem zweiten Artikel, der in Ausgabe 5/2025 des LIFTjournals erscheint, wird auf die praktische Anwendung eingegangen. Vorab sei hierzu erwähnt, dass viele Fragen zur praktischen Anwendung über das individuelle Evakuierungskonzept des Gebäudes beantwortet werden müssen.

Der Autor ist Mitglied der Working Group 6 (Fire related issues) des CEN/TC 10, in welcher die Norm EN 81-76 erarbeitet wurde, sowie Obmann des deutschen Spiegelgremiums und Chefingenieur für Vorschriften und Normen bei TK Elevator.


Übersicht über die Betriebsarten: • Automatischer Evakuierungsbetrieb: Bei der automatischen Evakuierung bedient der Aufzug selbsttätig Außenrufe und bringt Personen in die EAH. Solange die Beladung des Aufzugs unter 20 Prozent der Nennlast liegt, können mehrere Haltestellen bei einer Fahrt zur EAH evakuiert werden. Es können entweder alle Haltestellen evakuiert werden oder das Gebäudemanagementsystem gibt situationsabhängige Evakuierungszonen vor.

• Fernunterstützter Evakuierungsbetrieb: Bei der fernunterstützten Evakuierung wird der Aufzug aus der Ferne (Remote) allein durch einen Evakuierungsassistenten an einem Bedienstand ferngesteuert. Am Bedienstand gehen alle Außenrufe ein. Zur Überwachung und Kommunikation sind der Fahrkorb und die Haltestellen mit einer Videoüberwachung und einer Zweiwegeverbindung zum Bedienstand ausgestattet.

• Fahrerunterstützter Evakuierungsbetrieb: Bei dieser Betriebsart befindet sich während des Evakuierungsbetriebs ein mitfahrender Evakuierungsassistent im Fahrkorb. Dieser kann die eingehenden Außenrufe am Fahrkorbtableau erkennen und steuert den Aufzug allein. Der Fahrkorb ist dafür mit entsprechenden Bedieneinrichtungen sowie einer Zweiwegesprechverbindung zur EAH und zur Stelle, an der die Notbefreiung durchgeführt werden kann (Triebwerksraum oder Bedienpanel), ausgestattet.

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