Foto: © WARR
Aktuelles | November 2025
Studenten "grakseln" zu den Sternen
Ein Aufzug ins All? Studierende der TU München forschen an einem solchen Weltraumaufzug. Mit ihrem "Climber" nehmen sie regelmäßig an Wettbewerben teil.
Der Graksler 4.3 Prototyp, am Seil montiert, während des Wettbewerbs 2024 in Japan (Foto: © WARR)
November 2025
Ein Aufzug ins All? Studierende der TU München forschen an einem solchen Weltraumaufzug. Mit ihrem "Climber" nehmen sie regelmäßig an Wettbewerben teil.
Von Bernd Lorenz
Von Rückschlägen an der Entwicklung ihres Space Elevator lassen sich Simon Calvini und sein Team nicht entmutigen.
Bei der Rekrutierung von Fachkräften hat die Aufzugsbranche starke Konkurrenz. Für Simon Calvini und sein Team sind es die Kommilitonen aus dem Raketen-Projekt. "Wenn wir neue Mitglieder für die Wissenschaftliche Arbeitsgemeinschaft für Raketentechnik und Raumfahrt (WARR) suchen, geht der Blick der Studierenden eher zur zweistufigen Rakete als zu unserem Modell des Weltraumaufzugs", bedauert der 24-Jährige. Er studiert Maschinenbau an der Technischen Universität München (TUM).
In seiner Freizeit leitet der junge Südtiroler eine Forschungsgruppe. Sie baut im Rahmen des Projekts "Graksler" (der Begriff lehnt sich an das bayerische Verb "kraxeln", hochdeutsch "klettern", an) einen "Climber". "Einfach ausgedrückt, handelt es sich dabei um ein Elektrofahrzeug, das an einem Seil entlangfährt – idealerweise eines Tages von der Erdoberfläche bis in den geostationären Orbit."
An einen Aufzug erinnert das schmale Gefährt allerdings noch nicht. Mit einer Länge von rund 150 Zentimetern sieht der Climber 4.3 eher aus, wie ein lang gezogener USB-Stick. Dank der Leichtbauweise aus Carbon können zwei Studenten ihn mühelos halten. "Momentan arbeiten wir an so einer Art Demonstrator, mit dem wir eine Nutzlast von 100 Kilogramm über eine möglichst weite Strecke transportieren und technische Probleme identifizieren wollen", sagt Simon Calvini.
Die Räder mit einem Radius von circa 80 Millimetern bestehen aus Aluminium. Auf deren Kontaktfläche tragen die Studenten Gummi auf. Damit erhält das Seil, welches über die Räder geführt wird, mehr Grip. Blockiert werden die Räder zurzeit mit den Scheibenbremsen eines E-Bike. "Das Bremsen gehört zu den kritischen Punkten: Das Teuerste und Fragilste beim Weltraumaufzug wäre vermutlich das Seil. Deshalb sollte man es möglichst gut schonen. Wir bräuchten aber auch Bremsen, die im Weltraum ohne Elektrizität betrieben werden könnten." Calvini denkt dabei etwa an den Einsatz von Active-Low-Bremsen, die selbst bei einem Stromausfall funktionieren würden.
Zurzeit treibt ein Elektro-Motor den Climber an. Calvini würde sich eine Ausführung ohne Getriebe wünschen, "denn das reduziert das Gewicht". Batterien versorgen den Motor mit Energie. Bei voller Last reicht sie knapp eine halbe Stunde. "Für einen Weltraumaufzug ist das natürlich keine Option", wendet der 24-Jährige ein. Ergänzend zu einer leistungsfähigeren Batterie könnten Solarpanele installiert werden, die die Kraft der Sonne in Elektrizität umwandeln. Zukunftsmusik ist dagegen wohl noch der Einsatz des sogenannten Power Beaming. "Dabei wird auf der Erde produzierter Strom per Laser auf Solarmodule gerichtet und damit quasi in den Weltraum hochgebeamt", beschreibt er das Verfahren mit einfachen Worten.
Prinzipiell ist es möglich, einen Menschen mit einem Aufzug ins All zu transportieren. Doch es wäre wohl kein großer Spaß. Das liegt zum einen an der Länge der Reise. Simon Calvini hat ausgerechnet, dass die Fahrt bei einer Geschwindigkeit von 15 Metern pro Sekunde und einer Distanz von 36.000 Kilometern circa 30 Tage dauern würde. Problematisch ist auch der Transfer durch den Strahlungsgürtel der Erde. Dort befinden sich extrem viele energetische Partikel, die für den Menschen schädlich sein können. "Deshalb fokussieren wir uns eher auf den Gütertransport", so der Leiter des Graksler-Projekts. Dazu zählt er etwa Rohmaterialien, die kostengünstiger als mit einer Rakete befördert und für den Bau von Sonden eingesetzt werden könnten.
Ob es jemals einen Weltraumaufzug geben wird, hängt im wahrsten Sinne des Wortes am Seil. Auf der Erde beginnt die Herausforderung schon bei dessen Form. Als Teststrecke für den Climber nutzt das Graksler-Team bislang Lkw-Spanngurte.
"So ein flaches Band trägt das Gewicht besser ab, weil die Räder mehr Kontaktfläche haben. Allerdings ist es sehr anfällig gegen Windstöße, was schon oft dazu geführt hat, dass uns das Seil zwischen dem Rad und Gegenrad herausgeweht wurde", wägt Simon Calvini ab.
Offenbar überwiegen die Nachteile, denn die jungen Forscher wollen es künftig mit einem rundgeformten Verbundseil probieren. In der Regel testen sie den Climber an einem Gurt, der zehn Meter horizontal oder leicht diagonal gespannt wird. Um in die Vertikale zu kommen, ist ein Autokran oder ein Helium-Ballon erforderlich. "Das ist beides natürlich sehr kostspielig."
Ein für den Space Elevator taugliches Anschlagmittel scheitert derzeit in erster Linie am eigenen Gewicht. Ein 36.000 Kilometer langes Stahlseil wäre selbst mit einem Radius von einem Millimeter viel zu schwer. "Interessante Materialien" sind nach Einschätzung von Simon Calvini Graphit oder Nanoröhrchen aus Karbon. Letztere hätten den Vorteil, dass sie Strom gut leiten. "Leider können sie momentan nur mit einer Länge von ungefähr zehn Zentimetern produziert werden."
Bei ihrer Arbeit am Weltraumaufzug sind die Studenten auf die Unterstützung von Sponsoren angewiesen. Dazu gehört der MakerSpace in Garching, in dessen Werkstatt sie kostenlos viele Fertigungstechnologien nutzen können, und der Aufzugsbauer Schmitt + Sohn. "Den ersten Sponsoring Pitch hatten wir in der Niederlassung in München-Unterschleißheim. Anschließend sind wir aber auch noch in die Zentrale nach Nürnberg eingeladen worden."
Neben dem großen Interesse an der Arbeit des Graksler-Teams freut sich Simon Calvini über das finanzielle Engagement und die Bereitstellung von Fertigungskapazitäten. "Für den Wettbewerb in Japan hat Schmitt + Sohn uns kurzfristig Teile produziert." Um ihre Forschung weiter voranzutreiben, sind sie auf der Suche nach Förderern mit einer Fünf-Achs-CNC-Maschine sowie Kompetenzen im 3D-Druck von Metall und in der Batterietechnologie.
An einem Space Elevator arbeiten auch Studierende anderer Länder. Sie treffen regelmäßig bei Wettbewerben wie der European Space Elevator Challenge (EUSPEC) in München oder der Japan Space Elevator Challenge (JSPEC) in Fuji aufeinander. "Der Weltraumaufzug ist vor allem in Japan ein sehr viel größeres Thema." Dort gebe es ungefähr 15 kleinere Teams, von denen die meisten sogar von einem Professor unterstützt werden. Nach dem Rückzug der Technischen Universität Dresden seien die circa 20 "Graksler" seines Wissens die einzigen in Europa.
Bei der Space Elevator Competition Ende 2024 in Japan hatten die Münchner mit technischen Problemen zu kämpfen. "Die Hälfte unseres rund 30-minütigen Slots waren wir nur damit beschäftigt, den Climber am Seil zu befestigen", erklärt Simon Calvini. Erschwerend kam hinzu, dass ein Sensor ausgefallen ist. "Damit durften wir nicht autonom fahren, sondern mussten den Climber manuell steuern." Bei ihrem besten Versuch konnten sie eine Strecke von 50 Metern zurücklegen. Maximal wäre eine Distanz von 200 Metern möglich gewesen.
Die Erkenntnisse aus den Wettbewerben nutzen die Studenten der TUM, um den Climber zu verbessern. Ein neues Feature der Version 5.0 wird definitiv eine andere Anordnung der Räder sein, damit sich das Seil leichter "einfädeln" lässt. Für Simon Calvini ist das Münchner Space-Elevator-Team technologisch gut aufgestellt in punkto Elektronik, autonomem Fahren und Software. Verbesserungsbedarf sieht er beim Gehäuse. Anstelle von Carbon würde er gerne 3D-gedruckte Teile aus Aluminium, am liebsten sogar aus Titan verbauen. "Titan ist sehr leicht und extrem zugfest. Der ideale Werkstoff, aber leider sehr, sehr teuer." Im Vergleich zu anderen Gruppen von Studierenden sieht er das Graksler-Projekt "forschungstechnisch relativ weit an der Spitze".
Zurzeit bereitet das Team eine Machbarkeitsstudie für den Prototypenbau vor – ein weiterer wichtiger Schritt. Einen potenziellen Startpunkt für den Space Elevator wüsste der junge Maschinenbauer auch bereits. "Ein geostationäres Orbit ist nur am Äquator möglich. Dort könnte man unterhalb der Küste von Ghana eine schwimmende Insel in den Golf von Guinea setzen."
Einen großen Schub für die Entwicklung eines Weltraumaufzugs dürfte es nach seiner Einschätzung jedoch erst geben, wenn es Fortschritte bei der Entwicklung eines leichten und strapazierfähigen Seils sowie beim Power Beaming gibt. Herausfordernd dürfte es auch werden, wie der Aufzug sicher durch die "Friedhoforbits toter Satelliten" kommt. "Die Kollision dieses Weltraumschrotts mit dem Seil oder mit der Kabine wäre katastrophal."
Bis ein Aufzug ins All fährt, dürfte also noch viel Wasser die Isar herunterfließen. "Das werde ich in meiner WARR-Zeit wohl nicht mehr erleben", sagt Simon Calvini mit einem Augenzwinkern.
Weitere Informationen: warr.de
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